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Am Ende: Alle verrückt...

  • Autorenbild: Guenter G. Rodewald
    Guenter G. Rodewald
  • 26. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

26.5.2025 · ... nur einer nicht: nämlich der, den anfangs alle für verrückt erklären. Dieser eine nennt sich Elwood P. Dowd. Das ist auf extreme Kürze reduziert schon der ganze Inhalt jener klassischen und im besten Sinne zu nennenden Boulevardkomödie »Mein Freund Harvey«, die das fast schon legendäre Statt-Theater Vegesack am vergangenen Freitag im Kulturbahnhof Vegesack als allerneueste Produktion auf die Bühne gestellt hat.

 

Das 48th Street Theatre am Broadway
Das 48th Street Theatre am Broadway

Geschrieben hat sie die US-amerikanische Mary Chase (1907 – 1981). Die Uraufführung fand am 1. November 1944 im 48th Street Theatre am New Yorker Broadway statt. Es lief dann dort mehr als fünf Jahren ohne Unterbrechung und gewann 1945 den Pulitzer Price for Drama. Über die Vereinigten Staaten hinaus wurde Harvey durch die Verfilmung von Henry Koster mit James Stewart in der Rolle des Elwood (1950) bekannt. Ältere deutsche Kinobesucher mögen das Stück auch in den Versionen aus dem Jahre 1970 mit Heinz Rühmann und Susi Nicoletti oder die aus 1985 mit Harald Juhnke und Elisabeth Weidemann in den zwei Hauptrollen vor Augen haben.

 

Worum geht’s?

 

Der Inhalt der Komödie ist schnell erzählt: sie spielt um den gutmütigen Elwood P. Dowd, der behauptet, sein bester Freund sei ein zwei Meter großer Hase namens Harvey. Der ist aber für alles anderen unsichtbar, Seine Schwester Veta Louise Simmons möchte ihn deshalb in eine Nervenheilanstalt einweisen lassen, doch es kommt zu einer Reihe von Missverständnissen und Verwechslungen. Am Ende stellt sich heraus, dass Elwoods freundliche und tolerante Art – mit oder ohne Harvey – das Leben seiner Mitmenschen positiv beeinflusst. Die Geschichte stellt auf humorvolle Weise die Frage, was und wer eigentlich unter dem Begrifft „verrückt“, bzw. „normal“ einordnen ist. 

Die Dialoge des Stücks haben viel Tempo, viel Witz, bisweilen doppelten Boden. Die spritzige deutsche Fassung stammt von dem Wiener Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer Alfred Polgar (1873 – 1955), dem es gelang, Österreich nach dem „Anschluss“ durch das NS-Regime 1938 noch verlassen zu können und der mit seiner Frau ins Exil nach Genf, Paris, Marseille, Lissabon und Hollywood ging. 1949 kehrten sie zurück nach Europa und lebten dann in Zürich.

 

Neulich noch Ernst, nun also komisch


Nach der vorhergehenden Produktion des Statt-Theater Vegesack im vergangenen Winter, dem bitterernsten, sehr intimen 2-Personen-Stück »Purgatorio« von Ariel Dorfman (siehe hier: Link), gönnte sich das Ensemble nun mit Mein Freund Harvey  – so sagt man doch – leichtere Kost. Diese schenkte zudem einer großen Zahl der Mitglieder der Schauspielertruppe die Gelegenheit mitzuspielen, insgesamt 14 Akteuren und Akteurinnen, ohne Harvey selbst einzurechnen. Denn dessen Präsenz erleben die Zuschauer nur imaginär, sehr originell von der temperamentvollen Regie von Christian Bergmann „in Szene“ gesetzt.


Ohne auch nur den Auftritt einer einzigen oder eines einzigen der Darsteller und Darstellerinnen schmälern zu wollen, waren die Stars des Abends Marina Köglin in der Rolle der Veta und Arne Reent Buchholz in der des Elwood. Lange habe ich niemanden so wunderbare Schreie ausstoßen gehört, wie es Köglin versteht. Und das Stück sieht einige davon vor! Aber ihr Spiel wirkt sehr authentisch, man nimmt ihr die rechthaberische bis unversöhnliche Art ab, die Mary Chase ihr angedichtet hat.


Ebenso ganz dicht am Werk bewegt sich Buchholz, dem man von Anfang abnimmt, dass sein bester Freund tatsächlich der weiße Hase ist, den er unter dem Namen Harvey kennengelernt hat und den niemandem sonst auf der Bühne kennen oder sehen will. Als ein so sympathischer Mensch erscheint der Vegesacker Elrood dem Publikum, das es keinen Moment Zweifel an seiner Glaub- und Ernsthaftigkeit empfinden könnte.

 

Eine rundum gelungene Ensembleleistung

 

Da sind ebenso die Darsteller der beiden Ärzte des Sanatoriums zu nennen: Walter Schimmler und Lucas Wodtke, Laura Schimmler als Elroods Nichte, als die Anwaltskanzlei Gaffney & Gaffney bildenden Svenja Zaeperninck und Jörg Aue, als die Oberschwester und der Pfleger in der Heilanstalt Amy Stelter und Martin Dreifke, die Taxifahrerin Imke Wellmann, als 950er-Gold versessenes Hausmädchen Angelika Linde und Brigitte Schiller-Kehl als Betty Chumley. Allen – ohne eine einzige Ausnahme - merkte man den großen Spaß an ihren Rollen an, die sie mit sehr viel Freude auf die gut zu bespielende und ebenso akustisch dankbare Bühne des Kubas legten.

 

Apropos Vegesack 


Die Regie hat es sich nicht nehmen lassen und verkneifen wollen, das Stück in der unmittelbaren geografischen Nähe des Theaters spielen zu lassen: denn wo trifft sich Elrood mit Harvey? Im Havenhaus am Vegesacker Hafen! Und wo will man sich zum Essen verabreden? Im Schwaneweder Brunnenhof! Und noch weiteres extemporierendes Lokalkolorit wird eingebaut, ach ja, das "Pinökel" wird auch erwähnt. Das beschert dem Abend zusätzliche Lacher aus dem Parkett.


Ach, und überhaupt das Publikum. Das ging – sagen wir mal so - vorbildlich mit. Frisch und frei kommentierten manche der Zuschauer das Geschehen auf der Bühne, als bestes Bonmot fiel der gut hörbare Kommentar einer Besucherin auf, die knapp vor Ende des Abends einsichtsvoll erkannte: „Ach so, das ist die Schwester von ihm!“ Mit „ihm“ bezog sie sich auf den männlichen Hauptdarsteller des Stücks. An sich von Anfang des Stückes an bekannt, auch ohne den Programmflyer gelesen zu haben. Ein Wunder, dass dieser Ausruf, der natürlich auch gut auf der Bühne selbst zu verstehen war, Marina Köglich nicht aus dem Konzept geworfen hat. Da half ihr sicherlich ihre jahrelange Bühnen- und Spielerfahrung.

 

Schlussakkord

 

Leider – das gehört wohl heute dazu - kam man mal wieder nicht um ein dauerhaft eine Melodie spielendes Handy herum, das aber die dazugehörige Besitzerin offensichtlich selbst nicht hörte und auch abstritt, dessen Betreiberin zu sein. Nach einer gefühlten Viertelstunde, vielleicht waren es am Ende nur ein paar wenige Minuten, die aber prall in die Schlussszene fielen.

 

Frage: wozu dient eigentlich die Taste „Flugmodus“? Nächstes Mal dann, liebe Mitzuschauerin, einfach die entsprechende Taste im Menü drücken, ja? Danke!

 

Beifall satt!

 

Das Publikum spendete dauerhaften und dankbaren Applaus. Ich besuchte die dritte Aufführung, bedauerlicherweise war ich zur Premiere verhindert, so kam ich nicht in den Genuss der guten Gewohnheit des Statt-Theaters, seine Premierenabende immer mit einem Büfett und zusammen mit dem Publikum zu feiern. Nächstes Mal dann wieder.


Gelegenheit wird es im Herbst geben: da kommt „Das indische Tuch“ von Bernd Spieling nach dem Roman von Edgar Wallace, wieder auf die Bühne, das bereits elf Mal im vergangenen September in der Aula der Oberschule an der Lerchenstraße gespielt wurde. Nun wandert das Stück auch in den Saal des Kulturbahnhofs. Die Produktion entstand mit dem „Nachwuchsensembles“ der Vegesacker Amateurbühne!


Die weiteren Vorstellungen:

  • Mi, 28.05.25 · 19:30

  • Do, 29.05.25 · 19:30

  • Sa, 31.05.25 · 19:30

  • So, 01.06.25 · 16:00

  • Fr, 06.06.25 · 19:30

  • Fr, 13.06.25 · 19:30

  • Sa, 14.06.25 · 19:30

  • So, 15.06.25 · 16:00

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

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