1.10.2024 - Mit dem Zitat aus dem Munde von keinem Geringeren als seinem Ein-Drittel-Namensvetter Johann Wolfgang Goethe aus dem Jahre 1828 »Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige« ¹) startet Johann-Günther König seine zweite Abhandlung über das deutschen Eisenbahnwesen. »Krise der deutschen Bahn«, so der Untertitel des Buches »Anschluss verpasst!«, das heute im zu Klampen Verlag erschien.
Bereits im Sommer vor sechs Jahren hatte König im gleichen Verlag seine Verbundenheit mit der heute fast 189-jährigen Geschichte von Lokomotiven angetriebenen Beförderung von Personen und Gütern auf deutschen Schienen gestanden. Der Titel: »Pünktlich wie die deutsche Bahn? Eine kulturgeschichtliche Reise bis in die Gegenwart«.
»Ein kluges kulturgeschichtliches Kompendium. Mit bewundernswerter Leichtigkeit hangelt sich König argumentativ an Quellen des zügigen Zeitalters entlang« ehrte diese Arbeit des Autors sein schreibender Kollege Hendrik Werner - damals bereicherte dieser mit seinen niveauvollen Beiträgen und Kolumnen noch das Feuilleton des Bremer Weser Kuriers.
Besser kann man mit der Tür nicht ins Haus fallen, wenn jetzt Königs Verlag dessen neueste Publikation mit dem ersten unmissverständlichen Satz »Die Deutsche Bahn AG ist eine Tragikomödie« präsentiert. Und wohl nur aus einer solchen Position des Leidens und des Lachens kann man heute die verheerende Situation dieses staatlichen deutschen bundeseigenen Mobilitäts- und Transportkonzerns ertragen, der für die Fortbewegung von Passagieren und Frachten im Nah- und Fernverkehr verantwortlich ist, unter der Ägide dessen alleroberster Befehlshaber, dem stramm automobilkonzernhörigen Verkehrsminister Dr. V. Wissing, obendrein eiserner Gegner von Tempo 100.
Eine galgenhumoristischer Ansatz ist wohl auch der beste, wenn man dessen Schwächen und die ihm eigenen Absurditäten im alltäglichen Ablauf beschreiben will- Und ein wenig beruhigend der Effekt, wenn das mit einem gewissen literarischen und essayistischen Anspruch einhergeht. Dafür ist ein Autor wie Johann-Günther König prädestiniert. Wenn man seine Bücher, auch ihn persönlich und ihn von seinen Buchpräsentationen oder Vorträgen kennt, weiß man um seine verschmitzte Ironie, seinen Humor, ich schätze seine spitze Zunge.
Das Buch hat König in zwanzig wenige Seiten umfassende Kapitel gefasst, deren Überschriften allen Lesern und Leserinnen, die alltäglich auf kurzen oder immer auch wieder auf den langen, ganz weiten Strecken auf dieses Verkehrsmittel angewiesen sind, nur zu bekannt vorkommen. Beispielsweise betitelt er sie:
»Betriebsablauf für Leidenswillige«
»Bahn- oder Wahnhof«
»Alles aus dem Deutschlandtakt« oder
»Bahnreform aus dem Gleis«
Jeder Bahnpassagier ahnt, was sich dahinter verbergen könnte. Und es reizt schon beträchtlich, sich durch die Kapitel zu lesen, nachdem man die launige Einleitung mit dem Titel »Schienenersatzplan« gelesen hat. In welcher Reihen- oder Reizfolge auch immer.
Jedes Kapitel beendet König mit der Wiedergabe von Wortlauten von Durchsagen, entweder im Zug selbst oder auf Bahnsteigen, von denen man einige gut kennt, selbst wenn man nur wie ich ein Fahrgast kurzer Nahverkehrsverbindungen ist. König danach befragt, ob er diese Ansagen authentisch 1:1 wiedergegeben habe, versichert er das, allerdings habe er einige dem Chaos der entsprechenden Situationen anpassend abgewandelt oder ausgeschmückt. Diese schriftstellerischen Ausschmückungen sollten wir ihm verzeihen, zumal es zu befürchten ist, dass die Absurdität solcher Hinweise über die Lautsprecher in den Zügen wie auf den Bahnsteigen noch längst nicht an ihre Grenzen gestoßen ist.
Ich erlaube mir, einige davon zum Besten zu geben und zu zitieren:
»Wir müssen etwas warten. Der Bahnhof in Basel scheint nicht auf einen pünktlichen deutschen Zug vorbereitet zu sein.«
»Die Abfahrt wird sich um neunzig Minuten verzögern, da momentan kein Zug den Bahnhof erreicht.«
»Aufgrund höheren Zugaufkommens auf der Strecke bleiben wir auf unbestimmte Zeit stehen. Wir kommen irgendwann an.«
»Der Grund für die Verspätung ist die Bahnreform.«
Wo wir gerade bei Zitaten sind. Sympathische Geste, dass König auf der Seite 33 seinen Bremer Dichterkollegen und ebenfalls vielreisenden Michael Augustin mit seinem Gedicht ICE aus seinem Bändchen Der Bahnhof fährt ab · Reisebilder (Edition Temmen, 2021) zu Worte kommen lässt:
Verstehen Sie mich richtig. König legt uns kein humoristisches Büchlein ins Gepäcknetz, sondern er belegt alle die Unfähigkeiten, Unverschämtheiten, Ignoranzen, Verspätungen, Zugausfälle und Fehlentscheidungen, die einen Wirtschaftsstandort wie Deutschland schwer treffen, mit Fakten, sachlichen Argumenten, scharf formulierten Anklagepunkten. Dazu verpflichten ihn schon auch fast seine früheren beruflichen Hintergründe, denen er früher als Manager nachging, bevor er sich dem Schreiben und der Literaturwissenschaft zuwendete. Ich gehe so weit zu behaupten: mit einem J.-G. König als - wenn nicht sowieso als Verkehrsminister - dann doch als Vorstandvorsitzender, der Bahn AG wäre schon sehr viel gewonnen.
Mit König ins Moor?
Fragen wir ihn doch selbst, wenn er sein Buch seinen Lesern demnächst präsentieren wird, vielleicht auf einer Exkursion mit dem Moorexpress von Bremen nach Worpswede, dort zur Einkehr im Bahnhof Worpswede von Heinrich Vogeler. Die Saison des Moorexpress läuft wohl gerade aus, aber ich glaube, man kann ihn auch für solch ein Ereignis chartern. Wäre doch eine schöne Idee, guter Dietrich zu Klampen, oder?
Das Buch ist geeignet als beste Reiselektüre, für die Momente, wenn ein Zug mal zu den zeitlich versprochenen Informationen einen Bahnhof verlässt und sogar das Ziel sogar mal pünktlich erreicht. Oder eben, wenn der IC herumtrödelt, weil mal wieder ein Stellwerk nicht funktioniert und irgendwo zwischen Wolfsburg und Fallersleben auf offener Strecke Stunden und Stunden stehen bleibt.
Und wenn die Deutsche Bahn AG Sinn für Humor, Satire, aber auch wenn das bitterem Ernst nahekäme, dann würde sie am besten jedem Fahrgast eines von Königs »Anschluss verpasst!« in die Hand drücken. Der Laune an Bord und Bahnsteig würde es schon mal ein bisschen wohltun. Ebenso dem Verlag und seinem Autor.
Ein Bonmot zum Ende
Die Deutsche Bahn AG setzt jetzt auf die Unter-stützung von KI und versucht, uns das mit einem YouTube-Video darzustellen. Man hat bereits in Frankreich am Gare erste Versuche unternommen, aber ist man wohl noch nicht weitergekommen, wie das Foto rechts demonstriert. Vielleicht hätte man die Versuche statt mit der Dampflokomotive und der veralteten Waggons · einen Zug der Compagnie des chemins de fer de l’Ouest · bereits mit den Fern-verkehrszügen der neuen Generation ICE L.
Die Folgen damals: Es gab fünf Verletzte unter den Passagieren und den Zugbegleitern. Unten auf der Straße starb die Zeitungsfrau Marie-Augustine Aguilard. Sie hatte ihren Mann vertreten, der die Abendzeitungen holte. Die Eisenbahngesell-schaft bezahlte die Beerdigung und eine Rente für
ihre zwei Kinder. Eine weitere Frau wurde verletzt.
Der Lokführer Pellerin und der Heizer Mariette wurden vor Gericht gestellt. Pellerin musste 50 Franc Strafe zahlen und kam für zwei Monate ins Gefängnis, Mariette bezahlte 25 Franc.
Link zum Video:
¹) Anmerkung im Buch: So am Donnerstag, den 23. Oktober 1828, in: Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Herausgegegen von Fritz Bergmann, Frankfurt M. 1981
Weblinks:
Reaktionen:
»Du hast eine köstliche Schreibe. Chapeau!«
Michael Augustin - Autor, Bremen
»Du erfüllst Deine Rolle als schreibender Dilettant - wie Du Dich nennst - hervorragend. Ich genieße Deine Texte und war wieder eine Freude den Bahntext zu lesen. Selbstverständlich auch die hintergründigen humorvollen Informationen.« Volker Stuhldreher - Buchhändler, Bremen
»Nach diesem kräftigen Lob darf man sich als Zugreisender bei der nächsten Fahrt seine Zeit mit Königs neuer Satire unterhaltsam verkürzen. Vielleicht wäre man sogar für eine kleine Verspätung dankbar.« Prof. Dr. Gert Sautermeister - Literaturwissenschaftler, Bremen
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