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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

My Ghost Writers - Heute: Knud Falck

Aktualisiert: 20. März



Knud Falck und ich sind Freunde seit vielen Jahren, im Bremer Buchladen im Ostertor haben wir uns kennengelernt, Knud als einer der Buchhändler, ich als Kunde, oder besser als steter Besucher (denn gekauft habe ich wenig...). Im Herbst 1978 habe ich dort selbst begonnen mitzuarbeiten, damals mit ihm, Monika Fredebrecht, Gitti Mossmann und Holger Mertins.


Ich habe gemerkt, wie gut es mir tut, seit nunmehr doch schon guten drei Jahren so mancherlei auf diesem Blog von mir der Öffentlichkeit preisgegeben zu haben, manches wurde sogar mit aufmunternden Reaktionen belohnt. So habe ich auch Knud ermuntert, es doch auch einmal zu versuchen, Geschichten aus seinem sehr abwechslungsreichen Leben zu erzählen. So hat er sich ein Herz gefasst und persönliche Erlebnisse aus dem Monat Februar des Jahres 1962 in Hamburg aufgeschrieben.


Da Knud noch keinen eigenen Blog betreibt, habe ich ihm zu unserer sonstigen Freundschaft auch meine "Blog-Freundschaft" angeboten. Und so feiert er hier seine Premiere mit:

 


DIE GROSSE FLUT AN DER ELBE

oder:

WAS HAT BUSTER KEATON DAMIT ZU TUN

von Knud Falck


Ich beeilte mich zum Hamburger Hauptbahnhof zu kommen, denn ich hatte das ganze Wochenende frei und das sogar schon ab heute am Donnerstag. So konnte ich zu den Eltern nach Glückstadt fahren. Es geschah am 15. Februar 1962. Am Bahnhof angekommen, staunte ich über eine große Menge Menschen, die den Bahnsteig am Gleis 12 bevölkerten. „Was ist denn hier los, was wollen die vielen Leute?“ Eine aufgeregte Stimme antwortete: „Gleich kommt eine Dampflok mit Buster Keaton hier an, das wollen wir sehen.“ Das Ereignis wollte auch ich mir nicht entgehen lassen.


Auf dem gegenüberliegenden Gleis 11 stand ein Personenzug abfahrbereit, der Lokführer guckte aus seinem Führerhaus. Der Beamte mit der roten Mütze wedelte mit den Armen und pfiff laut und eindringlich. Aber der Zug machte keine Anstalten abzufahren. Auch die Stimme im Lautsprecher: „Regionalzug 3426 nach Itzehoe bitte abrücken“ berührte ihn nicht. Der Zug blieb einfach stehen.


Mit einer gewaltigen Dampfwolke und qualmend, lief zischend eine alte, pechschwarze Dampflokomotive mit riesigem Rauchfang und Kohlentender in den Bahnhof ein. Wir jubelten und klatschten und staunten, denn im Führerhaus der Lok stand er wirklich, der Stummfilmstar Buster Keaton, („der Mann, der niemals lachte“), älter geworden, als in seinen Filmen, aber wie immer mit verschlossenem Gesicht und einem flachen Strohhut auf dem Kopf. Er winkte uns zu. Danach kletterte er von der Lok herunter; jetzt natürlich mit ein wenig Show, denn er hatte eine riesige Ölkanne in der Hand und ölte das Gestänge. An der Lok war ein Schild mit dem Namen „GENERAL“ angebracht. Eine schwarze Platte mit goldenen Großbuchstaben.


Buster Keatons Kollegen, die Eisenbahner, noch in Dienstkleidung standen in der ersten Reihe. Dann begrüßte Mr Keaton einige Prominente und entfernte sich mit ihnen. Der Zug auf Gleis 11 fuhr endlich auch ab. Der Lokführer hatte genug gesehen: seinen berühmten Kollegen. Der Bahnsteig leerte sich und ich konnte in meinen Zug nach Glückstadt einsteigen, ganz beseelt von diesem Ereignis.

 

WAS MACHTE BUSTER KEATON AUF DEM HAMBURGER HAUPTBAHNHHOF?


Buster Keaton hatte sich mit dieser 100 Jahre alten Lok Anfang 1962 auf eine Promotion-Tour begeben, durch Deutschland über München, Köln, Hannover und Bremen, um in Hamburg seine letzte Station zu erreichen. Wofür eine Promotion-Tour? Die Atlas Film hatte den alten Stummfilm „DER GENERAL“ von und mit Buster Keaton in die Programmkinos gebracht. Dies sollte gebührend beworben werden.


BUSTER KEATONS STUMMFILM „DER GENERAL“ VON 1926


Dieser im Jahre 1926 gedrehte Stummfilm „Der General“ spielt während des amerikanischen Bürgerkriegs. Johnnie Gray (Buster Keaton) will sich nicht drücken, er will Soldat werden. Aber im Musterungsbüro bekundet man ihm, dass er als Lokomotivführer unabkömmlich sei. Er fügt sich und als er mit seiner Lokomotive GENERAL unterwegs ist, gelingt es einer Gruppe von Nordstaatlern die Lok zu entführen. Johnnie nimmt die Verfolgung auf und mit Hartnäckigkeit, waghalsigen Manövern und Erfindungsreichtum gelingt es ihm, seine Lok für die Konföderierten zurückzuerobern. Er wird zum Offizier befördert und kann das Herz seiner große Liebe Annabelle Lee gewinnen.


Der Film entstand auf dem Höhepunkt von Keatons Ruhm und war sehr teuer geworden. Keaton trieb die Kosten mit seinem Anspruch in Sachen Glaubwürdigkeit und Authentizität auf die Spitze: Er ließ eine richtige, historische Dampflokomotive von einer Brücke in die Tiefe stürzen. Diese einzelne Szene zählt zu den teuersten der ganzen Stummfilm-Epoche.


Leider kam der Film beim Publikum nicht an. Der Misserfolg, auch bei den Kritikern, beendete die künstlerische Unabhängigkeit von Keaton, denn der Film war ein finanzielles Desaster. Die Filmrollen verschwanden in einer Abstellkammer von Keatons Villa und verstaubten.


In den Jahren danach ging die Ära des Stummfilms zu Ende. Keaton musste seine Villa in Beverly Hills aufgeben. Im Jahre 1952 kaufte der Hollywood-Schauspieler James Mason die Villa. Er entdeckte mehrere vergessene Kopien von Keatons Filmklassikern. Die Filme wurden gerettet und liebevoll restauriert und die Rechte von Keatons „DER GENERAL“ wurden für Deutschland erworben. In den Jahren 1961 und 1962 organisierte die Atlas Film Neuaufführungen der restaurierten Fassung in zwanzig deutschen Großstädten, mit diesem spektakulärem Werbeaufwand.


Buster Keaton und seine Lok erreichten auf ihrer Tour auch Bremen. Sie fuhren am 14. Februar um 13:11 Uhr auf Gleis 5 des Bremer Hauptbahnhof ein. Woher ich das so genau weiß? Damals wusste ich es noch nicht. Viele Jahre später erfuhr ich von einem sehr guten Freund in Bremen, den ich damals noch gar nicht kannte, von diesem Ereignis, das er mir erzählte und aufgeschrieben hat.



DIE LOKOMOTIVE „GENERAL“ IN BERLIN



Sehr oft, wenn ich mal wieder in Berlin bin, fahre ich am Tempelhofer Ufer entlang und bestaune das Flugzeug, das über der Terrasse des Berliner Technikmuseums schwebt. Ein sogenannter „Rosinenbomber“, eine Douglas DC-3, ragt dort fast über die Straße. Diese Flugzeuge versorgten die Berliner während der Berlin-Blockade durch die Sowjetunion vom 26. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 mit lebenswichtigen Gütern und retteten nicht nur den Menschen das Leben, sondern auch den Status Westberlins.


Das Flugzeug wollte ich mir gerne ansehen. Ich besuchte das Museum im August 2020 und war ganz begeistert. Besonders hatte es mir die Eisenbahn-Abteilung angetan, mit den vielen Exponaten, dem Salonwagen von Kaiser Wilhelm II, der ersten E-Lok und den vielen Dampflokomotiven aus allen Zeiten. Und dann blieb ich staunend stehen, denn ich sah die Lokomotive, mit der Buster Keaton durch Deutschland getourt war.


Es war eine GKB 680 der österreichischen Südbahn aus dem Jahr 1860, eine Güterzug-Lokomotive, genau die, die ich im Februar 1962 im Hamburger Hauptbahnhof gesehen hatte.


Wie kam die Lokomotive in das Technikmuseum Berlin? Es gab da einen amerikanischen Film-Enthusiasten, der Buster Keaton persönlich kannte. Ein Mann namens Raymond Rohauer. Der machte sich auf die Suche nach einer dem Original „General“ ähnelnden Lokomotive. Und er entdeckte in Graz die abgestellte GKB 680. Diese Lokomotive war für die Promotiontour der Atlas Film angemietet worden. Einige Umbauten machten sie dem amerikanischen Original ähnlicher und als „GENERAL“ machte sich die 680 auf den Weg zu den Bahnhöfen der Bundesrepublik. Wie beschrieben erreichte die Lok am 15. Februar Hamburg. 


DIE STURMFLUT 1962 IN HAMBURG


Ich war längst zu Hause in Glückstadt. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar beginnt es heftig an zu stürmen und es bricht eine schwere Sturmflut über ganz Norddeutschland herein. Besonders schlimm trifft es Hamburg. Zahlreiche Deiche brechen, das Wasser überflutet ein Sechstel der Hansestadt. Allein in Hamburg gibt es 315 Tote, Tausende werden obdachlos, verlieren im Hochwasser ihr Hab und Gut.


Die Lokomotive, inzwischen in einem Lokschuppen Hamburg-Wilhelmsburg abgestellt, wurde auch von den verheerenden Wassermassen überflutet. Lange, nachdem das Wasser wieder abgeflossen war, wurde sie aus dem zerstörten Lokschuppen geborgen. Sie wurde wiederhergerichtet und fuhr tatsächlich noch zwei Jahre bis sie 1964 stillgelegt wurde.


In Berlin-Kreuzberg in der Trebbiner Str./Ecke Tempelhofer Ufer, in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Anhalter Bahnhof und zum Verkehrsknotenpunkt Gleisdreieck, eröffnete 1983 das „Museum für Verkehr und Technik“. Dieses Museum kaufte 1987 die berühmte Lok und stellte sie zu den anderen Eisenbahn-Exponaten. Das Museum heißt heute „Deutsches Technikmuseum Berlin“.

 

Die Originallokomotive aus dem Film „The General“ wird übrigens in einem Museum in Kennesaw, Georgia, USA ausgestellt.


Video | Der General:

Video | SWR | Buster Keaton in Ulm:

Video | SWR | Buster Keaton in Hamburg:  

  

 


DIE GROSSE FLUT IN GLÜCKSTADT


Am Freitag 16.Februar 1962, einen Tag nach dem Erlebnis am Hamburger Hauptbahnhof, sagte mein Vater zu mir: „Junge, lass uns mal über den Deich gucken. So einen Wind wie heute hab‘ ich noch nie erlebt. Da wird allerhand los sein auf der Elbe.“ Meine Eltern wohnten zu der Zeit in Glückstadt. Ich war gerademal 18 Jahre alt und seit dem letzten Jahr in Hamburg in der Buchhändlerlehre. Wie schon erzählt, hatte ich für dieses Wochenende frei und war am Tag zuvor aus Hamburg mit dem Zug gekommen.  


Wir machten uns am Nachmittag auf den Weg am rotweißen Leuchtturm vorbei an den Elbdeich. Damals beschützte der große Deich am Strom das Land und die Häuser noch direkt an der Straße „Am Neuen Deich“. Heute ist das ganze Vorland bebaut, „Butendiek“ und „Kimming heißt es da. Ein neuer Deich ist errichtet worden und die Straße am Deich jetzt näher am Fluss heißt ganz passend: „An Elvdiek“.


Das alte 33 m hohe Leuchtfeuer musste einem neuen modernen Leuchtturm am gleichen Standort weichen. Er ist sogar ein wenig höher und sieht immer noch schön aus mit seinen rot-weißen Streifen. Auch das kleinere Unterfeuer im Deichvorland in Höhe Glückstadt-Kimming ist auch inzwischen durch einen Neubau ersetzt worden.

 


Als richtiger Jung von der Waterkant hat mich besonders fasziniert, was mein Vater mir erklärte. „Wenn ein Schiff von See kommend die Elbe aufwärts fährt, muss das Unterfeuer und das Oberfeuer in Deckung gebracht werden. Dann befindet man sich genau in der Mitte der Fahrrinne. Und der Lotse kann das Schiff dann gefahrlos in Richtung Hamburg leiten.“. Leuchttürme sind heute immer noch unabdingbar für die Sicherheit, trotz elektronischer Seekarten und Radar.


Bei unserem Weg zur Elbe stiegen wir die in den Deich eingelassen kleinen Treppenstufen hinauf. Das ging ganz gut. Aber als wir über die Kuppe des Deiches kamen, blies uns ein heftiger Wind entgegen. Na ja, Wind ist leicht gesagt; es war mittlerweile ein ausgewachsener Sturm.


Vater machte mich auf das Wasser aufmerksam. Es schlug in Wellen gegen den Deichfuß. „Wie soll das denn noch werden?“, bemerkte er, „das Wasser ist schon so hoch und wir hatten erst vor zwei Stunden Niedrigwasser, also hat es noch 4 Stunden Zeit zu steigen. Das wird gefährlich!“


Wir gingen in Richtung Innenstadt und Hafen und wurden vom Sturm aus nordwestlicher Richtung mehr getrieben, als dass wir gingen. Aber wir mussten vorsichtig sein, immer wieder trieben uns die heftigen Böen fast vom Deich. Mein Vater fasste meine Hand, wie früher, als ich noch ein kleiner Junge war. Das hatte er lange nicht mehr gemacht. Ich fand es sehr schön und wir beide fühlten uns so sicherer. Der Himmel zog sich zu, dunkle Wolken zogen auf und es fing an zu regnen. Der Sturm peitschte den Regen gegen unsere Kleidung. Vorsorglich hatten wir schon zu Hause unsere Regenjacken angezogen. Vaters Baskenmütze schütze ihn nicht mehr. Tief zogen wir unsere Kapuzen ins Gesicht. Der Sturm war mittlerweile zum Orkan geworden.


Wir erreichten endlich das Hafengebiet. Es war fast dunkel geworden. Zwischen Binnen-und Außenhafen in Höhe der Schleuse gibt es einen Deich, der aber auf der Straße zur Nordermole unterbrochen ist, damit hier Fahrzeuge hindurch fahren können. Diese Öffnung heißt in manchen Gegenden in Norddeutschland Deichschart. Bei uns in Holstein heißt es „Stöpe“.


Hier war die Feuerwehr mit mehreren Fahrzeugen aufgefahren. Das Blaulicht tauchte alles in ein gespenstisches Licht. Mehrere Männer hat bereits im Licht der Scheinwerfer auf den Fahrzeugen die mächtigen Drehflügel-Holztore geschlossen. Jetzt wurden noch dicke Balken in die an beiden Seiten vorgesehenen Aussparungen gesteckt. Als das Tor mit viel Mühen und lautem Zurufen, aber doch erstaunlich schnell geschlossen worden war, bildeten die Feuerwehrmänner eine Kette und reichten Sandsäcke von Mann zu weiter, um sie zwischen Deichtor und Balkenlage zur weiteren Sicherung zu stapeln.


Wir sahen gebannt in einigem Abstand zu und als die Arbeit fast getan war, traten wir näher heran und Vater begrüßte den Feuerwehrhauptmann, heute heißt das wohl „Wehrführer“. „Tach, Herrmann, wie sieht´s aus?“ „Hallo, Heinrich, was macht ihr denn hier?“ und gab uns beiden die Hand. Wir sind fertig. Nun kann die Flut kommen.“ Mein Vater zauberte einen kleinen Flachmann aus der Tasche, drehte den Verschluss auf und bot Herrmann einen Schluck an. „Den hast du verdient.“ „Danke Heinrich.“ Und dann erzählte er uns, was er inzwischen per Funk und Telefon von seinen Kollegen an anderen Orten erfahren hatte. „Das Schlimmste ist wohl in Hamburg los. Ganz Wilhelmsburg soll abgesoffen sein. Bei uns haben die Elbdeiche gehalten. Aber größere Schäden sind im Binnenland an den Nebenflüssen entstanden. Die Dörfer und Städte an der Stör und an der Krückau und Pinnau sind schwer betroffen. Ich dachte an meinen Freund Jürgen in Wewelsfleth an der Stör und nahm mir vor, ihn morgen früh anzurufen und mich nach ihm und seiner Familie zu erkundigen.


Durchnässt und durchgefroren machten wir uns auf den stürmischen Heimweg. Nun aber nicht mehr auf dem Deich, sondern durch die Stadt und dann den kleinen Weg an der Bahnlinie entlang, der durch ein Kleingartengebiet führte. Zuhause hatte meine Mutter einen heißen Tee bereit. „Ab unter die heiße Dusche und dann ins Bett mit dir.“


Am nächsten Tag hörten wir im Radio die Schreckensmeldungen aus Hamburg und die Sturm- und Wasserschäden. Hauptsächlich war die südliche Seite von Hamburg betroffen.





Bilder von der Hamburger Sturmflut: Link




 

© Knud Falck, 2024





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