10. Dezember 2024 - Zum Ende dieses Jahres wird eine der für den unabhängigen deutschsprachigen Buchhandel und das dazugehörige Verlagswesen branchenwichtigsten Pressestimmen verstummen. So meldete es der BuchMarkt auf seiner eigenen News-Seite am 15. August dieses Jahres wie in der darauffolgenden Printausgabe 09/2024, in der der BuchMarkt-Geschäftsführer Julian Müller die (Hinter-)gründe der Entscheidung beschrieb.
Natürlich machte die Nachricht eine schnelle, betrübte bis entsetzte Runde, vom Börsenblatt · Das Fachmagazin der Buchbranche bis hin zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und natürlich war der angekündigte Tod dieses seit ganz knapp 60 Jahren existierenden Fachjournals einer der dunkleren Gesprächsstoffe auf den Gängen, Hallen und vieler Veranstaltungen der vergangenen Frankfurter Buchmesse 2024.
Der BuchMarkt charakterisiert sich selbst durch seinen Untertitel, der da heißt: Das Ideenmagazin für den Buchhandel. Das war er zeitlebens, seit seiner Gründung 1966 durch Christian von Zittwitz, Klaus Werner und Eberhardt Dickert. Bis heute ist er ein Garant für eine unabhängige Berichterstattung über das Geschehen des buchhändlerischen und verlegerischen Lebens im deutschsprachigen Buchhandel Deutschlands, der Schweiz und Österreichs geblieben. Im besten Sinne ein bestens funktionierendes Bindeglied zwischen den Buchhandlungen – vor allem auch immer stark den unabhängigen – den Verlagen und den diversen Gewerken der Gestaltung der Bücher, ihres Vertriebs, ihrer Herstellung, dem Lizenzhandel und noch viel mehr anderen. Ein nützlicher und zentraler Werbeträger zwischen den Verlagen und dem Buchhandel, neben dem »Börsenblatt« auch in dieser Beziehung das wichtigste Organ der Branche.
Es tut weh!
Eine spürbar in eine beinahe bodenlose Tiefe gehender Abschiedsschmerz durchzieht das gerade erschienene Heft mit der Nummer 12 des 59. Jahrgangs, das auf der einen Seite als ein Heft daherkommt, wie man es gewohnt ist, als würde nichts geschehen, eben mit Meldungen, Betrachtungen oder den Hoffnungen aus dem Metier, die die Redaktion des untergehenden BuchMarkt-Dampfers aufgreift und zur Diskussion stellt. Und ebenso, was die generellen Veränderungen betrifft, die auch das Buchgewerbe nicht unbehelligt lassen, es an manchen Stellen stark ins Zweifeln oder ins Schlingern bringt.
Sei es ein schräger Mainstream-Strudel wie eine 8000 Quadratmeter große Extra-Show New Adult auf der vergangenen Buchmesse am Main. Die erschwerten, für den kleineren Buchhandel immer weiter steigenden Lieferkosten- und Bedingungen. Der Internet-„Buchhandel“. Die Liste kann jede/r aus den jeweils doch eigentlich so schönen Tätigkeiten, die die Welt des Buches vorrätig hält, nach eigenen Erfahrungen ergänzen.
Aber auf den Seiten 38 bis 52 Seiten hält das Heft Rückschau auf die sechs Jahrzehnte lange Existenz des Blattes, mit vielen Anekdoten, Erinnerungen und Würdigungen. Susanna Wengeler erinnert sich an ihre lange Zeit in der BuchMarkt-Redaktion seit dem Ende der 90er Jahre bis hin zum Dezember dieses Jahres. Die immer ehrliche Beziehung zwischen dem nicht immer ganz leicht zu nehmenden Gründer Christian von Zittwitz des Magazins und den Redaktionsmitgliedern. Als CvZ wurde er intern und branchenweit gerne und der Einfachheit halber genannt, seine Einfallsvielfalt, seine Ratschläge, seine tiefgehenden Kenntnisse und Verbindungen vom und zum Büchermarkt sind legendär. Und nicht zu vergessen, sein Humor, den ich selbst aus nächster Nähe zuletzt erleben konnte, als ich bei dem legendären Fest zum 80. Geburtstag der Arche-Verlegerin Elisabeth Raabe im Juli 2019 im Festsaal des Literaturhauses Hamburg mit CvZ an einem Tisch sitzen durfte.
Auch besagte Elisabeth Raabe beweint den Untergang dieses Flaggschiffs der Verlags-Fachzeitschriften-Welt in ihrem Abgesang mit dem Titel Individualität und Pluralität. Seit fast genau 40 Jahren verbindet die - zusammen mit Regina Vitali – Betreiberin des von Peter Schifferli 1944 gegründeten Zürcher Verlages Die Arche eine enge Beziehung mit dem BuchMarkt.
Die Liste der Trauernden ist lang
Es fällt schwer, so einen Untergang zu verkraften. Man will und mag ihn in der Bücherwelt auch nicht wirklich akzeptieren – zumindest nicht jene ihrer Leser und Leserinnen, die den BuchMarkt schon lange kennen und nutzen und benötigt haben. Obwohl das Blatt sich auch immer sehr bewusst an den Nachwuchs im Buchhandel und in den Verlagen gewandt hat, und auffällig oft auch von dieser Klientel geschätzt und genutzt wurde. Selber hat das Magazin auch junge Menschen ausgebildet. Julia Graff, zusammen mit ihrer Schwester Simone heute Leiterin des Hädecke Verlages, war eine von ihnen. An diese Zeit erinnert sie sich mit dem Beitrag Heft ist fertig! und betont darin: »Das Familiäre machte BuchMarkt immer aus«. Eine aussterbende Tugend in der Berufswelt?
Nahezu rührend die Redaktionsnotiz auf der Seite 1 der nun allerletzten, ultimativen Ausgabe des BuchMarkts das Faksimile des damals so viel versprechenden Briefes des Verlegers Klaus Werner in der allerersten Ausgabe des Magazins im Sommer 1966. Der letzte Satz darin liest sich so: „Allen, die uns bereits von Anfang [unseres Projekts] an unterstützten und die uns auch für die kommenden hefte ihre Hilfe zugesagt haben, möchte ich an dieser Stelle danken.“ Beim allerbesten Willen für weitere Unterstützung soll dies den Lesern nunmehr nach insgesamt 666 Ausgaben leider nicht mehr möglich sein.
»Mein« BuchMarkt
Mich persönlich verbindet auch eine lange Geschichte mit dem Blatt: irgendwann in den frühen 2000er Jahren fragte mich Susanna Wengeler, ob ich nicht Lust hätte, aus der spanischen Verlagswelt hin und wieder zu berichten, gewissermaßen als Corresponsal del mundo editorial en lengua española y portuguesa.
Als in Bremen quer eingestiegener Buchhändler arbeitete ich seit 1986 als Literaturagent in Barcelona. Ich nahm – trotz meiner Unerfahrenheit als Schreiber – diese Herausforderung an und trug in den Jahren so manchen Beitrag von der Iberischen Halbinsel in den Druckausgaben und auf der Internet-Newsseite des BuchMarkts bei, so knappe hundert Meldungen und Artikel werden es im Laufe der Zeit geworden sein. Auch als in meine Heimat Bremen Zurückgekehrter habe ich es mir nicht nehmen lassen können, auch als Pensionär die eine oder andere Anekdote aus dieser Perspektive beizutragen.
Dazu gehört eine weitere Anekdote: in den 2000er Jahren hatte ich mit einigen Freunden aus der Barcelonenser Verlags-/Buchszene die Idee, einen BuchMarkt für den spanischsprachigen Markt zu schaffen. Das Projekt scheiterte am Ende an den finanziellen Dimensionen. Dennoch erinnert daran immer noch der Name meiner Internet-Domain www.mercadodelibros.info, »mercado de libros« ist die schlichte spanische Übersetzung des Wortes »Buchmarkt«...
Und noch eine ganz frühe Geschichte gehört dazu: Anfang der 80er Jahre hatten wir die Einrichtung und Gestaltung unseres Buchladen im Ostertor recht radikal verändert. Es war die erste der damals sogenannten »alternativen» Buchhandlungen der Stadt, den ich zu der Zeit zusammen mit vier weiteren »Kollektivisten« betreiben durfte. Ich meine, es war die langjährige Suhrkamp-Verlagsvertreterin Barbara Krämer, die den BuchMarkt auf diese auffallende Umstrukturierung aufmerksam gemacht hatte, so dass eine Reportage über unseren Buchladen im BuchMarkt erschien, damals natürlich noch in schwarz-weiss.
Im vergangenen Jahr wurde der Laden ein weiteres Mal vollkommen neu gestaltet. Denn nach wie vor gibt es diese emblematische Buchhandlung, seit zwei Jahren in den Händen der beiden Buchhändlerinnen Alena Glandien und Marlene Schmidt. Eine der bestens gelungenen Buchhandlungs-Nachfolgegeschichten, über die der BuchMarkt natürlich in seinen News berichtete und über die unter anderen Umständen ganz sicher noch eine Reportage gedruckt worden wäre, nun aber auch in Farbe!
Und die Zukunft?
Es wird wohl tatsächlich die kühle Realität sein und bleiben, dass es eine solche Publikation wie der BuchMarkt in der heutigen Welt der Printmedien, vor allem als unabhängiges Branchenorgan, nicht leicht haben kann. Gut ist, aber mir nur ein schwacher Trost, dass es noch das Börsenblatt gibt, dass ökonomisch sicher etwas besser gesichert ist, denn dort kann man sich durch die obligatorischen Mitgliedsbeiträgen für den Börsenverein des Deutsche Buchhandels e.V. womöglich etwas freier in den Kalkulationen bewegen, wenn man sicherlich auch dort mit finanziellen Engpässen zu kämpfen hat. Aber die Interessenlage durch die mehr oder weniger die gesamte Branche umfassenden Mitglieder verhindert per definitionem eine wirkliche redaktionelle Unabhängigkeit, wie es der BuchMarkt zeit seiner Existenz verfolgen und fast immer garantierte.
Es bleibt ein Torso
Auf der letzten Seite des nun historischen Heftes 12/2024 versichern die eBuch-Vorstände, damit die heutigen Betreiber des BuchMarkts, Julian Müller und Angelika Siebrand, dass die Website www.buchmarkt.de weiterhin bestehen bleibe. Auch werde der BuchMarkt-Newsletter weiter erscheinen, der in den kommenden Wochen neu aufbereitet und sich in neuer Art und Weise im Markt platzieren werde. Auch der Podcast allesBuchMarkt solle fortgeführt werden. Wie genau, daran werde noch gearbeitet.
Es fehlt mir die Überzeugung, dass diese Konstruktion der Rumpffunktionen mit dem redaktionellen und breiten Hintergrund, den der BuchMarkt immer auf seine Fahnen geschrieben hatte, auch nur annähernd gleichziehen wird können. Gerne jedoch lasse ich mich eines Besseren belehren. Wir werden alle die Augen draufhalten.
Danksagen tut not
Am Ende möchte ich nicht versäumen, dem gesamten Redaktions- und Vertriebsteam, den vielen freien Autor:innen für ihre Arbeit, ihr Engagement und ihre Treue zum Projekt danken. Man kann allen nur eine spannende, finanziell ausreichende und inhaltliche befriedigende Zukunft wünschen.
Und – das erlaube er mir – posthum meinen großen Respekt und ebensolchen Dank an CvZ! Für sein historisches Werk der Gründung und seine Verdienste als Kapitän des BuchMarkts, und dass er ihn kurz vor dem Ende seiner Fahrt in so vorbildlicher Weise noch in neue Hände legen konnte.
Dass nun dennoch alles im Meer der tiefen Enttäuschungen versinken muss, hätte – fürchte ich – selbst ein so erfahrener Fahrensmann wie ein CvZ irgendwann vielleicht auch nicht mehr verhindern können. Vielleicht ist das ein kleiner Trost für die BuchMarkt-Crew und die Leser und Nutzer dieses großartigen Projekts.
Nachtrag · Aus gutem Grund
Nachdem ich bei Julian Müller von eBuch angefragt hatte, ob man mir erlaube, zum Download die Teile der letzten Ausgabe des BuchMarkts, die sich mit der Historie dieses für dem Buchhandel so wichtigen Magazins beschäftigen, in meinem Blog-Beitrag zur Verfügung zu stellen, antwortet er mir grosszügig mit seinem Einverständnis. Das setze ich natürlich umgehend und sehr gerne um!
Julian Müllers Bitten gegen Ende seiner Mail (»Vielleicht behalten Sie uns via des BuchMarkts-Newsletters im Auge und berichten dann auch über die weiteren Entwikchklungen?») komme ich sehr gerne (aber auch kritisch!) nach und werde alles im Auge behalten. Ich wäre einer der Allerersten, der froh wäre, wenn diese Plattform - in welcher Modalität auch immer, und sei es nur noch die virtuelle - weiter existierte und - vor allem - seine Unabhängigkeit weiter bewahrte.
Dazu wünsche ich alle guten Hände und originelle Ideen und Einfälle und extrem offene Ohren für die Probleme und Zukunft des Buchhandels und aller ihn umgebenden Player!
Wie gewünscht, in Treue:
Ihr/Euer
Guenter G. Rodewald
Nachtrag #2 · 17.XII.2024
Das gehört ebenfalls nachgetragen: Heute erreichte mich mit der traditionellen Briefpost ein Exemplar der allerletzten Print-Ausgabe des BuchMarkt und als grosse Überraschung ein Originalexemplar der allerersten Ausgabe aus dem Jahr 1966. Eine wahre Rarität! Danke dafür. Kommt in mein bibliophiles Raritätenkabinett. GGR
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