top of page

Viele Tränen werden fließen

  • Autorenbild: Guenter G. Rodewald
    Guenter G. Rodewald
  • 14. Juni
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Juni

14. Juni 2025 · Viele Tränen werden fließen, wenn in fünf Wochen, am Samstag, dem 19. Juli – damit nach 98 Jahren Existenz – die Vegesacker Buchhandlung Otto & Sohn ihre Türen für immer schließen wird. Damit verlässt sie innerhalb kurzer Zeit als fünfte Bremer Traditionsbuchhandlung ohne Nachfolger die Kulturszene der Stadt – nach der Buchhandlung Storm in der Langenstraße, der Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer, dem Buchladen Bettina Wassmann, beide Am Wall, und der Buchhandlung Sieglin im Bremer Steintor.


An fehlender Unterstützung durch die lokale Presse - DIE NORDDEUTSCHE und die Wochenzeitung BLV - kann es nicht gelegen haben. Kaum ein Geschäft im Herzen Bremen-Vegesacks und von ganz Bremen-Nord und all seine Aktionen und Projekte wurde redaktionell so intensiv von diesen beiden Medien betreut wie Otto & Sohn, ohne dabei jemals in den Verdacht zu geraten, diese Buchhandlung zu protegieren. Denn fast immer wurde durch deren Berichterstattung unterstrichen, wie wichtig – nahezu unersetzlich - ihre Rolle für das kulturelle Leben der Bremen-Norder Kieze und umzu ist. (Anm.: Wie wichtig nach wie vor solche Medien für die lokale Kommunikation haben - gerade neben der Überflutung durch die sogenannten sozialen Medien - haben - ist noch ein weiteres umfassendes Thema.)


Schuld trifft auch uns alle


Das geht nun alles zu Ende. Natürlich fällt auch diese Ladenschließung in die Reihe der diversen Geschäftsaufgaben, unter denen gerade Vegesacks Zentrum zu leiden hat. Die Zeit arbeitet immer mehr für die Übernahme der lokalen Fußgängerzonen durch Handy-, Döner- und Pizza-Shops, durch Drogerie- und leider auch Bücherketten. Die Ursachen kennt man größtenteils: der Internethandel ist neben den demografischen Veränderungen der Gesellschaft sicherlich der intensivste und aggressivste Verursacher dieser Entwicklung, aber unterschätzen wir nicht unseren eigenen Anteil am sich immer weiter ausbreitenden Leerstand der Innenstädte!


Denn der Internethandel gewinnt nur durch dessen Nutzung durch uns selbst, obwohl gerade der lokale Buchhandel längst mindestens genauso gut virtuell strukturiert und im Internet präsent und erreichbar ist wie die mächtigen Player. Und der ebenso schnell agiert, wenn nicht mancherorts sogar in der Lage ist, über das Internet georderte Bestellungen ins Haus zu liefern.


Allerdings können Buchhandelsketten wie die Thalia-Gruppe mit seinen mehr als 500 Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum oder ein Online-Moloch wie amazon mit wesentlich lukrativeren Rabatten durch die Verlage rechnen, als sie dem lokalen Buchhandel angeboten und zugestanden werden.


Die nachweisbare Politik beispielsweise der Thalia-Bücher GmbH ist es, mit aggressiven - in der Nähe von Schutzgelderpressungen zu verortenden - Methoden kleine Buchhandlungen und Verlage unter Druck zu setzen. »Wer das Angebot nicht annimmt, dem wird subtil mit Vernichtung gedroht.« (FAZ, 30.10.2017 · Link)


»Das Buch verliert an Ansehen«


Äußert bei einem Besuch in seiner Buchhandlung Martin Mader und trifft damit ein allgemeines Phänomen. Früher gehörte es vor allem in der bürgerlichen Erziehung, Bildung und Identität - aber sicher nicht nur bei ihr - dazu, sich und durchaus aucxh seine wohnliche Umgebung (warum auch nicht!?) mit Büchern zu umgeben. Oder sie zu verschenken, sei es zu Geburtstagen oder überhaupt zu Festen, wie Weihnachten, zu Konfirmationen, als Firmengeschenke oder zu Jubiläen. All das verliert sich immer mehr, wie diverse Untersuchungen nachweisen. Verschenkt wird weiterhin viel, gespart wird dabei durchaus nicht, nur eben immer weniger Bücher.


Noch zur rechten Zeit


Beglückwünschen kann man Martin Mader und seiner Frau Sabine, dass sie zur rechten Zeit beschlossen haben, die Reißleine zu ziehen und so einer womöglichen Insolvenz aus dem Weg gehen können. Mit der grösstmöglichen Transparenz hat Mader seinen Kunden und der Öffentlichkeit vermittelt, warum er sich zu diesem Schritt gezwungen sah. Durchsichtiger geht es kaum. Auch ohne Seitenhiebe, so sehr wie er dazu das Recht hätte.


Aber das »Weihnachtsgeschäft« des vergangenen Jahres war im Verhältnis zu dem vorherigen 2023 so stark eingebrochen, dass die Maders keine andere Möglichkeit mehr sahen als nun im Sommer ihren schönen, immer überaus reich sortierten dicht zu machen. Der Erfolg oder Misserfolg in einem Weihnachtsgeschäft im Verhältnis zum gesamten Jahresumsatz ist seit jeher und nach wie vor der unbestechliche Gradmesser im Buchhandel. Als kleinen Trost darf man nehmen, dass bereits zwei von den drei Mitarbeiterinnen des Otto & Sohn-Teams eine neue Anstellung gefunden haben (die dritte sucht noch!!!).


Eine kleine Tröstung bedeutet es zu hören und zu wissen, dass Vegesack und der Bremer Norden weiter von und mit Martin Mader rechnen kann, denn weitere seiner Vorlese-Aufführungen, die er seit Jahren in seiner Buchhandlung mit großem Zulauf geboten hat, wird er weiter anbieten, auch weiterhin mit lesenden Gästen. Dafür müssten noch Spielorte gefunden werden, aber da werden Mader weiterhin seine Einfallslust und seine dichte Vernetzung im Viertel zur Seite stehen und werden sich Bühnen und passende Etablissements finden.


Kein lautloser Abschied


So jemand wie Martin Mader wird am 19. Juli nicht heimlich, still und leise seinen Laden hinter sich abschließen, nein, er lässt es sich nicht nehmen, noch einmal mit vielen seiner beliebten und immer viel besuchten Veranstaltungen aufzuspielen. Er hat ein reichliches Programm für den Abschied vorbereitet, das man sich nicht entgehen lassen sollte und eigentlich noch nicht einmal darf!


Das gesamte Abschieds-Programm von Otto & Sohn kann man hier downloaden:


Sich selbst etwas Gutes tun


Nach dieser Devise handelt Mader, denn natürlich schmerzt ihn, seine Frau und ihr Team der Abschied von diesem leidenschaftlich betriebenen Laden in der Breiten Straße 21/22, der ganze Generationen von Bewohnern in Vegesack, Blumenthal, Farge, Grohn, Lesum, Burglesum, im Umland und ebenso über die Weser hinweg in durch die Fähre nah gelegenen Orten wie Lemwerder und weiteren sozialisiert und früher obendrein mit Schulbüchern, aber auch Schreibwaren und Büroartikeln versorgt hat.


Seit Jahren tritt Mader auch als Verleger in Erscheinung, viele Jahre schon publiziert er seine Wandkalender in Farbbildern, in der Hauptsache mit Fotografien von Einwohnern aus Bremen-Nord. So gibt es nun auch zum Lebewohl einen weiteren Kalender, den für das Jahr 2026. Dazu macht sich der Buchhändler und Vorleser Mader ein ganz spezielles Präsent, mit einem gebundenen Band von 108 Seiten, in dem er drei seiner regelmäßig in seiner Buchhandlung vorgetragenen »Vorlesungen« ausgewählt und sie in dem Bändchen miteinander verbunden hat: »Odysseus«, »Die Nibelungen« und »Michael Kohlhaas«. Eine gelungene Reminiszenz, angenehm zu lesen, und - wie es ein traditioneller Buchhändler, eine traditionelle Buchhändlerin ausdrücken würde - es liegt angenehm in der Hand.


Am Ende nicht ganz ohne Hoffnungen


Ganz in den Fängen der Bücher-Großmoguln muss Bremen-Nord aber in der weiteren Zukunft nicht verharren, denn es gibt weiter immerhin eine Alternative: die Lesumer Lesezeit (Link) hält engagiert die Stellung oder auch »um die Ecke« Die Schatulle in Osterholz-Scharmbeck (Link).


Leider musste der nördlichste Bremer Bücher-Leuchtturm, die Blumenthaler Bücherstube,  vor einigen Monaten schließen. Ihr umtriebiger Betreiber Rüdiger Wolff ist verstorben. Ob der Laden Nachfolger finden können wird oder in welcher Form er weiterbetrieben werden könnte, ist zurzeit noch offen.


Aber gibt es um knapp dreißig Buchläden in fast allen Bremer Stadtteilen, vom Viertel bis in die Neustadt, von Findorff bis nach Schwachhausen, oder auch von Worpswede bis nach Lilienthal.


Aber Obacht: sie alle sind über kurz oder lang auch gefährdet, wenn sie von der lesenden Bevölkerung nicht zahlreich genug genutzt und besucht werden.


Also in diesem Sinne:

Auf Wiedersehen · Tschüss · Ciao · Adiós · Bye bye · Au revoir · Tschööt

Und: Danke!

Weblinks:

  • Buchhandlung Otto & Sohn: Link

  • Börsenblatt · Martin Mader:

    »Ich will meine Buchhandlung erhobenen Hauptes schließen«: Link

  • Der Verleger Martin Mader: Link

  • Der Vorleser Martin Mader:  Link

  • DIE NORDDEUTSCHE vom 01.2025: Link

Reaktionen:

  • »Puuuuh, grossartig! Vor allem Dein Gesamtblick! Vielen Dank für deine klare Sicht und die klaren Worte!!« - M.M., Buchhändler, Bremen

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

Comments


© 2018 - 2023 by Guenter G. Rodewald

bottom of page